Dr. Markus Strauß – „Wildkräuter wie Brennnesseln sind fast wie ein Dope“
Grüne Smoothies bewegen weiterhin die Nation. Das ist schön, denn was spricht auch gegen gesund und lecker? Speziell zu Grünen Smoothies mit Wildkräutern erhalten wir viele Fragen. Fast wöchentlich erscheinen neue Bücher über die grünen Zutaten, Wildkräuter-Wanderungen werden angeboten und sogar einen Hochschul-zertifizierten „Fachberater in Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen“ kann man inzwischen absolvieren. Ein Grund mehr für uns passend zum Wildkräuter-Saisonstart einmal genauer nachzufragen bei Herrn Dr. Markus Strauß – Autor, Berater und Hochschuldozent mit dem Themenschwerpunkt essbare Wildpflanzen und Wildkräuter.
smoothie-mixer.de: Herr Dr. Strauß, vielen Dank erst einmal, dass Sie uns hier Rede und Antwort stehen. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Wildkräutern mit 5 Wörtern beschreiben?
Dr. Markus Strauß: Ja, mit 3 Wörtern kann ich das sogar schon sagen: „Ich liebe sie“.
smoothie-mixer.de: Das klingt ja geradezu nach „Schmetterlingen im Bauch“. Wie kommt diese Beziehung zustande und was ist Ihr Ziel dabei?
Dr. Markus Strauß: Mein Arbeitsmotto und was ich sonst immer vor mir hertrage in einem Satz zusammengefasst, ist die Re-Integration der essbaren Wildpflanzen in unsere heutige Alltagskultur.
Re-Integration deshalb, weil die Menschheit jetzt aktuell über 2 Millionen Jahre alt ist und wir in Mitteleuropa erst seit 5800 Jahren vor Christus Landwirtschaft betreiben. Davor haben die Menschen vom Jagen und Sammeln gelebt. Die Jungsteinzeitliche Revolution, der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht, war eine riesige Umwälzung, die ganz viele Folgen hatte. Und die nächste große Revolution war die Industrielle vor 150 Jahren und mit dieser begann das Zucker raffinerien, Obst in Dosen einkochen usw. Heute leben wir schon in der digitalen Revolution, wo sich nochmal alles wahnsinnig beschleunigt, wo es so Sachen gibt wie Fertiggerichte, „to go“, und Lieferservice etc. Dadurch wird alles nochmals auf die Spitze getrieben. Im Restaurant ist alles schon vorgekocht und vakuuminiert, mit der Mikrowelle gemacht. Es wird immer artifizieller, künstlicher, was für uns bedeutet, dass wir immer weniger Vitalstoffe bekommen. Zudem sind die Ackerböden sehr ausgelaugt und die Züchtung und Gentechnik verändern die Pflanzen nach rein ökonomischen Kriterien. Dies alles wirkt in die gleiche Richtung: unser Körper ist nur scheinbar satt, in Wirklichkeit aber falsch oder unterversorgt.
Sind Wildkräuter im Vergleich zu den gewohnten Gartenkräutern die ehrlicheren Pflanzen?
Dr. Markus Strauß: Ja absolut, es sind die mit Abstand ehrlichsten Lebensmittel, die wir heute überhaupt bekommen können! Auch und gerade vor dem Hintergrund was mit dem Freihandelsabkommen TTIP gerade läuft. Behandeltes Saatgut, Hybrid-Zucht, Gentechnik, das steckt ja heute alles in den Kulturpflanzen schon drin. Ganz abgesehen von der Agrarchemie…
Daher bin ich für die Re-Integration des alten Wissens, auch des Steinzeit -Wissens, was das Sammeln angeht. Da ich vegetarisch vegan lebe geht es bei mir vor allem um das sammeln, weniger um’s jagen 😉 Ergänzend kaufe ich auch hochwertige Bio-Sachen ein. Das ist in meinen Augen alles, was Demeter-, Bioland oder Naturland-zertifiziert ist. Das „Billig-Bio“ können sie auch vergessen, aber selbst ein hochwertiges Bio hat es heute schon schwer, weil man auch hier genau schauen muss wo das Saatgut herkommt und auf welchen Böden angebaut wurde. Viele Ackerböden sind eben heute schon ausgelaugt. Indem ich aber Wildpflanzen esse, mache ich praktisch eine energetische und stoffliche Rückverbindung zum Waldboden oder zum Boden unter der Hecke oder Streuobstwiese, weil das die klassischen Orte sind, wo man Sammeln kann. Damit habe ich Anschluss an einen reich-mineralisierten und reich belebten Boden. So z.B. an das Spurenelement Selen, welches in den Ackerböden bei uns kaum noch vorhanden ist. Aber im Waldboden habe ich eher Chance, dass es die Pflanze aufnehmen konnte und so bekommt mein Immunsystem eben diesen wichtigen Stoff – nur so als Beispiel.
Die Konzentration an Calcium, Magnesium, und Vitamin C in Wildpflanzen ist schlecht erforscht, weil damit keiner Geld verdienen kann. Es gibt nur einige Werte von Wolfgang Franke aus den 80er Jahren. Das müsste man einmal fundamental untersuchen, dann könnte man konkret sagen, Brennnesseln & Co haben im Durchschnitt 12-mal mehr oder 22-mal mehr als Kopfsalat. Jetzt kann ich einfach die Faustregel sagen, im Schnitt haben wir 10-20-mal mehr an Inhaltstoffen.
Aber mögen Menschen nicht eher Süßes in Ihrer Nahrung, insbesondere auch in einem Smoothie? Wie schafft man also die Integration von Wildkräutern die doch eher für einen sauren, herben oder bitteren Geschmack bekannt sind?
Dr. Markus Strauß: Genau, wir sind eben auch ein bissl deformiert mit unserem Geschmacksempfinden. Aber auch hier haben wir eine große Chance, dass sich das wieder einreguliert. Wir werden natürlich von der Industrie und von den ganzen Gewohnheiten getriggert auf „Süß“, weil es einfach überall mit drin ist. Die Kinder wachsen ja mit Nutella und Cola auf und dann sind die natürlich heiß auf süß. Süß ist generell ja auch nichts schlechtes, aber in dem Ausmaß und der Qualität – wenn man hier überhaupt noch das Wort Qualität benutzen darf – wie wir heute damit umgehen, ist es eine reine Katastrophe. Auch ethisch kommt das einem puren Gift gleich. Was wir da an Zivilisationskrankheiten züchten ist unmöglich.
Da sind die Wildpflanzen echte Heilsbringer, weil die Bitterstoffe die Entgiftung des Körpers fördern, indem sie die Galle und Leber anregen. Aber ich kann nicht von Null auf Hundert springen. Das würden weder unsere Geschmacksnerven noch unser Verdauungssystem mitmachen, und es würde nicht gut ausgehen. Das kann bis hin zur Gallenkolik gehen oder auch Blähungen. Es ist also nicht zu empfehlen, dass man sofort reinstürzt, weil es so gesund sein soll und man plötzlich nur noch Wildkräuter isst. Das ist also Quatsch. Ich rate einen schleichenden Einstieg.
Mein Tipp ist peu à peu vorzugehen, zum Beispiel frischen Löwenzahn reinzunehmen. Der ist schön bitter, aber anfangs nur ein paar Blätter und das so langsam steigern. Und parallel dazu auch immer mal wieder eine Dattel weniger oder die Banane reduzieren oder das Ganze im grünen Smoothie durch eine Salatgurke oder im Sommer durch eine Melone ersetzen, damit ein Tick weniger Zucker drin ist. Das Schöne ist, dass sich der Hunger nach Bitter zurückmeldet und das Verlangen nach Süß nachlässt.
Können Wildkräuter im grünen Smoothie auch beim Abnehmen helfen?
Dr. Markus Strauß: Wildkräuter sind sehr sättigend. Der Körper wird endlich mal wirklich versorgt. Der viele Appetit nach Irgendetwas ist ja oft versteckter Durst. Manchmal wäre es gescheiter ein Glas Wasser zu trinken. Und oft ist es einfach die Psyche die sagt: Mensch, jetzt bräuchte ich mal wieder was, weil das Leben so hektisch und anstrengend ist. Wenn man das mal ganz ehrlich beobachtet, wird oft eine Kompensation betrieben. Der Körper ist einfach oft schlecht versorgt, mit dem was wir an Zivilisationskost essen. Indem wir hier dafür sorgen, dass der Körper wieder ideale Mengen an Calcium, Magnesium, Vitamin C und Antioxidantien bekommt, kommt da wieder Ruhe rein und man ist einfach mal wieder richtig satt. Dann hat man nicht das ständige Verlangen nach Knabbern und sowas – es lässt nach. Der natürliche Hunger nach Bitter und Herzhaft kommt zurück und parallel geht das Verlangen nach Süß zurück. Das ist ja auch eine tolle Sache, denn so geht es spielend ohne Zwang und führt zu einer Gesundung des Körpers. Viele verlieren automatisch Gewicht und man ist besser mineralisiert etc. Ein ganz toller Prozess kommt da in Gang.
Erinnern Sie sich noch an Ihren allerersten grünen Smoothie?
Dr. Markus Strauß: Das ist jetzt aber schon sehr lange her. An meinen allerersten Wildkräutersalat kann ich mich gut erinnern. Ende der 90iger war das. Da lachen wir heute noch drüber. Damals sagte ich zu meiner Freundin: „Das schmeckt ganz schön gesund“. Da war auch Löwenzahn und Gundermann enthalten. Ich dachte mir damals schon, dass man da mehr Kauen muss und das Ganze war eben noch sehr ungewohnt. Aber das nimmt einem der Smoothie ja zum Teil schon wieder ab – Kauen muss man gar nicht mehr. Wobei man den Smoothie auch nicht unbedingt gleich herunterstürzen sollte. Ich spreche immer gerne vom „Schmauen“ – also vom schmeckenden Kauen. Das Einspeicheln ist wichtig, damit die Verdauung gefördert wird, dass die Amylase gleich überall hinkommt. Aber an den ersten Smoothie – muss ich Ihnen gestehen – kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich trinke jeden Tag Smoothies, aber das ist echt untergegangen.
Sind Wildkräuter im Smoothie für die ganze Familie geeignet – jung wie alt?
Dr. Markus Strauß: Ja, auf jeden Fall. Das habe ich auch meinen Besuchern und Ausbildungsteilnehmern gesagt und bekomme super Rückmeldungen. Alle, selbst Babys kann man damit füttern. Man muss lediglich aufpassen, was man alles reinmacht. Nicht zu viel Heilkräuter, sondern die schonendere Variante. Zum Beispiel Babybrei kann man selbst herstellen. Mit Wasser, Chia Samen, Banane, Hagebuttenmark und vielleicht noch einem Löffel Kokosmus und ein paar eingeweichten Goji-Beeren oder anderen Beeren. Da kann ich einen ganz tollen, gesunden, relativ dickflüssigen und cremigen Brei herstellen, den man von der Konsistenz absolut vergleichen kann mit den Hipp-Gläschen. Ich habe Kleinkinder erlebt die naturnah auswuchsen und von Kindesbeinen an gerne und mit Genuss Gänseblümchen und sogar Löwenzahnblüten gegessen haben!
Wir haben vor kurzem einen Saisonkalender für Wildkräuter veröffentlicht. Einige Arten können bereits jetzt im März gesammelt werden. Was kann man tun, um die essbaren Wildkräuter zu erkennen und identifizieren und nicht versehentlich giftige Pflanzen zu sammeln? Stichwort: Bärlauch / Maiglöckchen
Dr. Markus Strauß: Darum muss man sich ein bisschen kümmern. Es ist nicht wie im Supermarkt, wo scheinbar alles essbar ist. Wobei in Wirklichkeit heutzutage der Supermarkt sogar giftiger ist als die Natur. Die meisten Regale muss man eigentlich unberührt lassen. Und es ist für uns neu, weil wir das intuitive Wissen weitestgehend verloren haben. Jeder von uns erkennt Gänseblümchen und Löwenzahn, das ist noch Reste-Wissen. Dieses muss man sich wieder aneignen. Dabei helfen z.B. meine oder auch andere Bücher. Meine Buchreihe Natur und Genuss ist sehr praxisnah geschrieben. Dabei habe ich auch schon eine Vorauswahl getroffen. Was kommt flächendeckend im deutschen Sprachraum vor, was ist relativ leicht zu erkennen, was hat möglichst lange Erntesaison, was schmeckt auch, schließlich sind wir nicht im „Survival-Bereich“. Man hat dann seine 10-20, manche auch 30 Favoriten, die in der Nähe wachsen oder zu denen man im Alltag auch gut hinkommt auf dem Weg zur Arbeit, beim Sport, oder beim Hundespaziergang, beim Joggen oder im Urlaub, wo man dann kräftig sammelt und neben Smoothies auch Pesto machen kann. So integriert sich das peu à peu in das Leben. Das sind immer individuelle Lösungen. Erfahrungsgemäß findet hier jeder seine persönlichen Favoriten. Fast immer mit dabei sind die Superklassiker wie Brennnesseln, Löwenzahn, Giersch, Vogelmiere oder ein paar Beerenarten. Alleine mit diesen wenigen in den Alltag integrierten Pflanzen hat man schon einen riesen Fortschritt erzielt!
Herr Dr. Strauß, Hand auf’s Herz. Welche drei Wildkräutersorten sind Ihre absoluten Favoriten und warum?
Dr. Markus Strauß: Meine absoluten Favoriten sind die Klassiker Brennnesseln, Giersch und Löwenzahn! Diese wachsen an jeder Ecke und es ist einfach diese ständig zur Verfügung zu haben. Und sie sind von den Wirkungen her einfach optimal. Alle drei haben super Nährwerte, sowie ganz tolle so genannte sekundäre Pflanzenstoffe:
Löwenzahn mit seinen Bitterstoffen ist von jetzt bis zum Oktober verfügbar, was ein großes Plus darstellt. Er fördert die Entgiftung ganz stark. Die Brennnessel hilft das aus dem Körper herauszuschaffen, weil sie diuretisch wirkt. Man sollte nur ausreichend Wasser trinken, sonst kann bei längerem Genuss auszehrend wirken. Und Giersch ist eine super Eiweiß-Quelle und schmeckt mir einfach auch gut. Zum Beispiel im Salat oder als gedünstetes Gemüse.
Auch in den grünen Smoothie integriere ich diese drei. Die Brennnessel ist fast wie ein „Dope“, kann man sagen, weil es regelrecht pusht. Einen frischen Brennnessel-Smoothie kombiniere ich dann mit einer Banane, einer Salatgurke, ein kleines Stück Ingwer rein, Wasser – ich mache nie Milchprodukte in den Smoothie – einen Apfel, eine Zitrone, damit es richtig schön spritzig ist. Dann ist der Smoothie super erfrischend und wirkt fast wie ein Espresso oder so – wirklich wachmachend oder energetisierend. Ein ganz tolles Gefühl!
Wie der Name schon sagt, stellen wir auf unserer Webseite smoothie-mixer.de die besten und beliebtesten Mixer auf dem deutschen Markt vor. Haben Sie auch einen Mixer zu Hause?
Dr. Markus Strauß: Ich habe zwei Vitamix-Modelle, die ich auch für meine Kurse für die Ausbildung benötige. Jeweils den Klassiker, Vitamix TNC 5200, seit 6 Jahren. Die (Hersteller, Anm. der Red.) rüsten aber ja alle auf und machen Designmodelle hier und Computerprogramme dort. Das ist alles Mumpitz und mir zu kompliziert. Ich bin der „Klick-Schalter-Mensch“. Ich habe es gerne einfach, schnell an, „zack zack“, Stufenregler hoch. Die ganzen Programme sind ein Pseudoservice. Irgendwann hat man das auch ohne Programme drauf‘ und kann das machen. Ich finde den Stufenregler gut, denn da kann ich auch Pesto damit herstellen und nicht nur Smoothies. Smoothies sind wichtig, aber es ist auch einfach toll, wenn man auch andere Sachen damit machen kann.
Ich habe auch mal einen Bianco probiert oder einen Thermomix. Aber beim Thermomix habe ich gemerkt, dass man damit keine guten, wirklich cremigen Smoothies machen kann. Auch vom WMF Kult war ich nicht ausreichend überzeugt.
Möchten Sie uns zum Abschluss noch von einem besonderen Erlebnis / einer Anekdote berichten?
Dr. Markus Strauß: Ach Gott, was soll ich da sagen. Heute habe ich wieder einen botanischen Sammelspaziergang, den ersten in diesem Jahr. Da kann es sein, dass zwischen 60 und 80 Leuten kommen. Das ist unglaublich und ich freue mich total! Allerdings kann man das dann nicht mehr Sammelspaziergang nennen, wir stehen dann im Wald und ich halte einen „Waldvortrag“.
Herr Dr. Strauß, ich danke Ihnen für das Interview und wünsche einen erfolgreichen Start in die Wildkräuter-Saison!
Auf der Homepage www.dr-strauss.net können sich Interessierte über Bücher, Rezepte, Vorträge, Seminare, Beratungen, Sammel-Wanderungen oder sogar über eine zertifizierte Ausbildung informieren.
das ist eine gute Frage: kann man aus Wildkräutersamen Sprossen machen
Gerne wprde ich ihren Newsletter erhalten.
Herzlichen Dank
Petra Burgmer
Hallo Frau Burgmer,
das ist schön zu lesen. Melden Sie sich doch bitte einfach aktiv für unseren kostenlosen Newsletter an und bleiben bzgl. Tipps, Neuerungen und persönlicher Empfehlungen immer am „(Smoothie-) Ball“ 🙂
Viele Grüße, Thorsten
Ich habe eine Frage an Fachmann:kann man aus Wildkräutersamen Sprossen züchten und aus welchem? Mit freundlichen Grüßen